Raufen wie die Kinder
Bericht auf Seite 4 der tz vom 19.08.04
Der Text im Original: (mit freundlicher Unterstützung von Susann Frank)
"Du musst mich schon anfassen, wenn du mit mir raufen willst", sagt Elisabeth
mit ruhiger Stimme. Um ihre Augen bilden sich Lachfalten. Sie ist belustigt
über mein Zögern, wartet aber geduldig auf eine Reaktion. Immer noch bewege
ich mich keinen Zentimeter aus der knieenden Position. Anfassen? Einen
fremden Menschen? Um zu raufen? Mehrere Sekunden verstreichen, dann nehme
ich allen Mut zusammen: Ich greife zu und packe Elisabeth an den Schultern.
Sie hält dagegen und drückt mich zu Boden. Wie ein Wollknäuel, eng
umschlungen, rollen wir über die Decken, die auf dem Gras ausgebreitet sind.
Immer in dem Versuch, sich aus dem Haltegriff der Gegnerin zu befreien und
die Oberhand über die andere zu bekommen.
Alles jedoch in einer kindlichen, spielerischen Art, ohne den anderen
verletzen zu wollen. Doch schon so zupackend, dass die Kräfte des Gegners zu
spüren sind. Endlich, nach einigen Minuten, gelingt es mir, Elisabeth mit
beiden Schultern auf den Boden zu drücken und langsam bis fünf zu zählen.
Der Kampf ist damit beendet. Ich muss lachen. Nicht, weil ich als Siegerin
hervorgehe. Sondern weil das Raufen, eher ein Balgen, wirklich Spaß gemacht
hat. Die anfängliche Beklemmung gegen über dieser "Sportart" ist völlig
gewichen.
Seit acht Jahren gibt es den Münchner Rauftreff. Zum Leben erweckt hat die
Hobby-Kampf-Runde - die einzige dieser Art in Deutschland - der Freisinger
Gerhard Schrabal. Die Anhänger treffen sich im Sommer alle zwei Wochen, um nach Lust und Laune miteinander zu raufen.
"Raufen ist eine Grundfähigkeit des Menschen, die bei Erwachsenen aber
unterdrückt wird", sagt Schrabal. Dieser Entwicklung will er mit den Treffen
entgegenwirken. "Für mich ist es also ein Austoben der kindlichen Triebe
in Verbindung mit Spaß."
Während Schrabal das erzählt, wälzt sich bereits das nächste Duo über den
Boden, eng ineinander verschlungen. Auch darin sieht Schrabal Positives:
"Ich muss mich bei so engem Körperkontakt auf andere Personen einlassen und
sie annehmen." Etwas, das in unserem sozialen System nicht mehr
selbstverständlich sei. "Natürlich zählt auch der sportliche Gedanke", räumt
Schrabal, der früher Judo ausübte, ein. Der schwere Atem der gerade
Kämpfenden ist der beste Beweis für deren Anstrengung.
Deswegen gibt es für die Kämpfe auch Regeln. Es darf keiner verletzt werden.
Kratzen, Beißen, Schlagen und an den Haaren ziehen ist nicht erlaubt. Der
Kampf muss knieend begonnen werden. Wenn einer Stopp sagt, muss der andere
den Kampf sofort beenden. Und Sieger ist der, der seinen Gegner bis fünf
zählend mit beiden Schultern auf den Boden drückt.
"Natürlich freut man sich, wenn der andere unten liegt", gibt Elisabeth zu.
"Es ist aber auch eine gute Erfahrung, selbst besiegt zu werden und dann zu
lernen, mit dem Gefühl des Schwächeren umzugehen."
Veronika klinkt sich ins Gespräch ein: "Als ich vom Rauftreff gehört habe,
fand ich es einfach nur spannend, dass Erwachsene so etwas machen." Sie
hätte sich lange aber nicht getraut, mitzumachen. "Eine solche intensive
körperliche Berührung im Erwachsenenalter, ohne gleich Sex zu haben, ist
normalerweise völlig undenkbar", sagt sie und zupft dabei verlegen an einem
Grashalm. "Ich musste diese Hürde erst überwinden. Ich kämpfe mittlerweile
sogar lieber gegen Männer, weil ich mich da mehr traue, meine Kräfte
auszuspielen." Diese Erfahrung habe ihr sehr gut getan. "Ich lerne immer
mehr, diese Nähe auszuhalten."
Das war wohl auch eine meiner größten Hemmschwellen. Neben der Ungewissheit,
was mich erwartete. Schließlich kannte ich aus der Gruppe vorher niemanden.
"Kämpfen wir jetzt?", fragt Veronika. "Klar!", antworte ich. Und dieses Mal
zaudere ich nicht beim ersten Griff.
Susann Frank
Ohne Hemmungen
Früher habe ich Taekwondo gemacht. Jetzt raufe ich seit acht Jahren
regelmäßig. Mir gefällt daran einerseits, Kräfte messen zu können,
und andererseits, den Ernst des Kräftemessens mit viel Spaß zu verbinden.
Außerdem die Berührungs-Hemmschwelle gegenüber einer Frau oder einem Mann
zu überwinden.
Lieber mit Männern
Ich bin jetzt das dritte Jahr bei den Rauftreffen hier dabei. Mir hat es
gleich beim ersten Mal richtig viel Freude bereitet. Der Reiz daran ist für
mich, dass wir unsere Kräfte mit viel kindlichem Spaß beim Raufen und Balgen
testen können. Ich raufe allerdings lieber mit Männern. Denn da habe ich
doch weniger Angst, dass ich ihnen wirklich weh tun könnte.
Lebendiger Spieltrieb
Unsere Gesellschaft ist immer mehr auf Distanz aus. Es ist nicht üblich,
sich zu berühren. Darum gefällt mir das Raufen auch so gut, weil es
Verbindung schafft. Für Kinder ist das Raufen oder das Balgen etwas
Normales, für Erwachsene leider nicht mehr. Dabei hat es etwas mit unserem
Spieltrieb zu tun. Ihn nicht zu pflegen, heißt, an Lebendigkeit zu
verlieren.
Im Rahmen austoben
Ich habe früher Judo gemacht. Der Sport war mir aber auf Dauer zu hart.
So bin ich auf die Idee des Raufens gekommen. Schließlich ist es eine
Grundfähigkeit des Menschens. Hier nimmt man den Wettkampfgedanken
weitgehend raus. Es ist eher ein miteinander Spielen, ein Austoben unter
vorgegebenen Rahmenbedingungen.
"Wo sind die Kinder???"
RTL-Redakteurin Corinna Hilss während
ihres Besuchs beim Rauftreff am 22.08.04
(Das Fernsehteam zog daraufhin unverrichteter Dinge wieder ab.)
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